Wecken wir den Brunnen auf 


Es war am achten Tag nach meiner Panne in der Wüste, als ich den letzten Tropfen meines Wasservorrats trank: "Ach", sagte ich zum kleinen Prinzen, "ich habe nichts mehr zu trinken und wäre glücklich, wenn auch ich ganz gemächlich zu einem Brunnen gehen könnte!". "Ich habe auch Durst ... suchen wir einen Brunnen ..." Ich machte eine Gebärde der Hoffnungslosigkeit: es ist sinnlos, auf gut Glück in der Endlosigkeit der Wüste einen Brunnen zu suchen. Dennoch machten wir uns auf den Weg...

 

Der Brunnen, den wir erreicht hatten, glich nicht den Brunnen der Sahara. Die Brunnen der Sahara sind einfache, in den Sand gegrabene Löcher. Dieser da glich einem Dorfbrunnen. Aber es war keinerlei Dorf da. "Das ist merkwürdig", sagte ich zum kleinen Prinzen, "alles ist bereit: die Winde, der Kübel und das Seil ..." Er lachte, berührte das Seil, ließ die Rolle spielen. Und die Rolle knarrte wie ein altes Windrad, wenn der Wind lange geschlafen hat. "Du hörst", sagte der kleine Prinz, "wir wecken diesen Brunnen auf und er singt" "Ich habe Durst nach diesem Wasser", sagte der kleine Prinz, "gib mir zu trinken." Und ich verstand, was er gesucht hatte. Ich hob den Kübel an seine Lippen. Er trank mit geschlossenen Augen. Das war süß wie ein Fest. Dieses Wasser war etwas ganz anderes als ein Trunk. Es war entsprungen aus dem Marsch unter den Sternen, aus dem Gesang der Rolle, aus der Mühe meiner Arme. Es war gut für´s Herz, wie ein Geschenk.

 

Antoine de Saint-Exupéry. Der kleine Prinz. Übertragung ins Deutsche von Grete und Josef Leitgeb,

Düsseldorf: Karl Rauch Verlag Neuauflage 1976, (gekürzt)