„Dankbarkeit ist ein Vorrecht derer, die erkannt haben, dass alles, was wir haben, kein eigener Verdienst, sondern nur Geschenk ist.“
(Verfasser unbekannt)
Wer dankt, denkt weiter. Wer weiter denkt, kommt irgendwann an den Punkt, wo er spürt, dass er und seine Existenz kein Zufall sein können. Sein Denken wird religiös, findet also zur Wurzel allen Seins, zu Gott.
Wer dankt, denkt weiter und findet letztlich zu Gott. Von derzeit etwas über 7 Milliarden Menschen bezeichnen sich 5,6 Milliarden als irgendwie an Gott Glaubende. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass Dank und Dankbarkeit in allen Religionen eine große Rolle spielen. Spirituelles Leben empfindet sich als verdankt, lebt aus dieser Quelle, drückt diese Erfahrung und dieses Empfinden aus und gibt sie weiter.
Der amerikanische Benediktiner David Steindl-Rast sieht in der Dankbarkeit das Bewusstsein, dass das ganze Leben ein Geschenk ist. Sie ist für ihn ein spiritueller Weg, der für den Einzelnen wie auch für die Welt zukunftsweisend ist. Dankbarkeit tut Not in einer Welt und in Gesellschaften, die ziemlich undankbar geworden sind, weil sie Gott im Alltag vergessen. Unser Ego sitzt auf einem Thron. Unabhängigkeit, Überlegenheit, Stolz, die Grundhaltung der Forderung, die Selbstverständlichkeit meines Rechts, berechnendes Denken und Handeln u. v. m. lassen die Welt und das Zusammenleben erkalten und brutaler werden. Gelebte Religiosität, echte Spiritualität übt dieses Sich-verdankt-Fühlen wieder ein, gibt Gott seinen Platz zurück und hilft dadurch wie ein Medikament gegen die geistigen Krankheiten unserer Zeit. Dankbarkeit ist eines der wesentlichsten Gefühle, das die Religionen in ihren Anhängern erwecken und erhalten wollen. Sie gilt daher als eine universelle religiöse Haltung.
Buddhismus, Judentum, Islam und Christentum sollen im Folgenden beispielhaft als Hüter der Dankbarkeit dargestellt werden:
Gautama Buddha, der Begründer des Buddhismus, sagt z. B.: „Zwei Menschen, ihr Mönche, trifft man selten in der Welt. Welche zwei? Den Zuvorkommenden und den Dankbaren, Erkenntlichen, diese beiden Menschen, ihr Mönche, trifft man selten in der Welt.“ (Anguttara Nikaya II, 57) Dankbarkeit bedeutet im Buddhismus, das Denkwürdige zu denken und es im Gedächtnis zu bewahren. Sie ist eine natürliche menschliche Eigenschaft, die eng mit Achtsamkeit und innerer Sammlung zusammenhängt und dadurch geschult werden kann. Wer sich in Dankbarkeit übt, der wird zufriedener, zuversichtlicher und sozialer im Umgang mit anderen.
Im Judentum durchzieht die Dankbarkeit jeden Lebensbereich des Gläubigen und ist ein wesentlicher Teil des Gottesdienstes, weil alles von Gott kommt und der Mensch sich in allem ihm verdankt. Die Psalmen des Alten Testamentes sind ein beredtes Beispiel für spirituell-gläubige Dankbarkeit.
Der Koran als heilige Schrift des Islam ist durchzogen von der Idee der Dankbarkeit. Die Gläubigen werden in allen Lebenslagen ermuntert, Gott zu danken. Viele Alltagstätigkeiten der Moslems drücken nicht nur die Dankbarkeit Gott gegenüber aus, sondern fördern sie auch. Daraus erwächst dann wie selbstverständlich ein prosoziales Verhalten anderen gegenüber.
Dankbarkeit durchzieht auch das gesamte Leben eines Christen. Sie ist die wesentliche Grundhaltung im Christentum und das Herz des Evangeliums Jesu Christi. Das Lukasevangelium berichtet z. B. von einer menschlichen Grunderfahrung: Nur wenige sind dankbar. In Lk 17, 11-19 wird von der Heilung von 10 Aussätzigen berichtet, aber nur einer kehrte zu Jesus zurück, um sich zu bedanken. Christliche Dankbarkeit ist innere Haltung und eine Tugend, die zu äußeren Taten führt.
Das Herz des katholischen Glaubens ist die Eucharistie (griech. „Dank sagen“), die positive Erinnerung an Jesu Liebestat, sein Präsentwerden in der Hl. Messe und die Danksagung dafür, dass wir unser Leben nicht alleine bewältigen müssen, sondern Er an unserer Seite mitgeht und uns hilft. Die Eucharistiefeier vollzieht sich immer in Gemeinschaft, nie als individuelle Heilsveranstaltung. Sie bringt, wenn uns nicht selten die Worte fehlen, Sorgen und Nöte, Freude und Dank in vorgegebene Formulierungen und Riten, die wie ein tragendes Netz sind. In Jesu Leben, Tod und Auferstehung leben wir unsere eigene Lebens-, Liebes- und Leidensgeschichte nach und fühlen uns darin geborgen. In einer Welt des Egoismus und des Nützlichkeitsdenkens schenkt uns die Hl. Messe einen zweckfreien Raum, der uns einfach nur sein und aufatmen lässt.
Abschließend soll der belgische Ordensmann Phil Bosmans zu Wort kommen, dessen Schriften unzähligen Menschen schon Trost, Halt, Kraft und Freude geschenkt haben:
„Es gibt viele Wunder auf der Erde, die nur danach verlangen, von Menschen entdeckt zu werden. Wenn wir nicht nur unsere Augen, sondern auch unser Herz öffnen, wenn wir Blumen und Vögel und die Menschen anschauen, weil wir sie von Herzen gern haben, dann sehen wir immer mehr, dann entdecken wir täglich Wunder.
Mehr als mit dem Verstand denken wir mit unserem Herzen. Das Herz macht den Verstand hell. Wovon unser Herz begeistert ist, dafür setzen wir uns ein. Auf unserem großen Planeten ist das Herz des Menschen nur ein winziger Fleck. Und doch: Hier kommt die Liebe zur Welt.“
Artikel: P. Christoph Kreitmeir Foto: Ingeborg Hamisch
Katholisches Sonntagsblatt für die Diözese Rottenburg/Stuttgart Nr. 43/2016, S. 30/31