Gedanken wirken wie ein Mobile

(P. Christoph Kreitmeir im Interview)


Warum die Art zu denken, große Macht auf den Alltag ausübt und was dabei hilft, Patienten immer wieder frisch zu begegnen

 

Christoph Kreitmeir verbindet in seinem Leben scheinbar Gegensätzliches: Er ist katholischer Priester und Sozialpädagoge, Franziskaner und psycho-spiritueller Berater, Seelsorger und Autor. In seinem neuen Buch „Glaube an die Kraft der Gedanken“ zeigt er, wie stark jeder von uns von dem geprägt wird, was er denkt. Und er gibt Impulse, wie man den inneren Kompass immer wieder neu ausrichten kann.


Interview Gedanken wirken wie ein Mobile

Gedanken nehmen Einfluss auf Gefühle, Entscheidungen und Handlungen. Warum ist das Denken eine so zentrale Steuereinheit?

 

Weil unsere Gedanken eine große „Macht“ haben. Sie sind der Anfang aller Gefühle, Worte, Handlungen, quasi der Einschaltknopf.

 

Sind es nur die Gedanken, die man selbst denkt, oder spielt das, was andere über uns denken, ebenfalls eine Rolle?

 

Natürlich bewirken Äußerungen anderer bei uns wieder Reaktionen. Die Kunst ist, sich von äußeren Bewertungen anderer unabhängig zu machen, sein Selbstwertgefühl und seine positiven Gedanken zu stärken. Ich sage es mal mit dem hl. Franz von Assisi: Das, was du vor Gott bist, bist du, nicht mehr und nicht weniger.

 

Gedanken – Wahrnehmung – Achtsamkeit. Diese drei Begriffe sind eng miteinander verbunden. Wie wirkt das eine auf das andere ein?

 

Es ist wie bei einem Mobile – wenn du ein Teil davon in Bewegung bringst, dann kommt das Ganze in Bewegung.

 

Ist denn jeder seinen Gedanken ausgeliefert oder kann er auf sie einwirken?

 

Genau hier liegt die wichtige Erkenntnis und daraus folgend dann die Umsetzung: Wir sind nicht Marionetten in einem Geschehen in uns und um uns herum. Wir können unser Leben stark beeinflussen, auch unser Denken, beispielsweise durch Achtsamkeitstraining.

 

Aber positives Denken reicht nicht, wenn ich einen Patienten vor mir habe, der gerade die Diagnose erhalten hat oder mitten drin steckt in einem neuen Schub. Was kann da helfen?

 

Positives Denken allein hilft in der Tat nicht wirklich, es geht nicht in die Tiefe. Betroffene brauchen die Chance, schwere Situationen adäquat und prozesshaft zu durchleben. Dabei kann ich ihnen eine Stütze sein, indem ich da bin und zuhöre, mich auf mein Gegenüber authentisch und empathisch einlasse und darauf vertraue, dass im Gesprächsgeschehen die Lösung schon da sein wird. Sie muss „nur“ noch gefunden werden. Und wenn der sie selbst findet, der sich in einer Krise befindet, dann ist das Problem schon fast gelöst. Das zeigt sich immer wieder in meiner Beratungspraxis.

 

Spielt der Glaube dabei eine Rolle?

 

Der Glaube ist hier nicht entscheidend, aber ... wenn der Glaube zu einer richtig eingeübten inneren Gedankenregulierung hinzukommt, dann kann sich die positive Wirkung vervielfachen. Es kommt natürlich auf die Qualität des Glaubens an: nicht eng und angstmachend, sondern weit und Vertrauen schenkend.

 

Glaube kann ja, zumindest im Sprichwort, Berge versetzen. Zu was ist Glaube Ihrer therapeutischen Erfahrung nach fähig?

 

Meiner Erfahrung nach ist ein gesunder Glaube wie ein tragendes Netz hinter allem. Dies wird interessanterweise durch neuere Forschungen untermauert: Der Glaube an eine wie auch immer geartete höhere Macht und die Suche nach einer tieferen Wahrheit verspricht Hilfe bei der Krankheitsbewältigung, weckt Hoffnungen und öffnet die Sicht für Bereiche jenseits der materiell greifbaren Welt. “Spirituelles Wohlbefinden”, so kann man es auf einen Nenner bringen, schützt vor finaler Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung.

 

Bei der Betreuung und Begleitung von Menschen mit einer chronischen Erkrankung ist besondere Sensibilität erforderlich. Wie schafft man es, sich in die Gedankenwelt eines anderen hineinzufinden?

 

Indem man bei sich selbst ist, mit Empathie und Einfühlungsvermögen zuhört, auch die nonverbalen Signale wie Körpersprache und Mimik wahrnimmt. Dann ist es möglich, mit den Augen der anderen zu sehen. Hilfreich ist es auch, wenn man auf Gott oder ganz allgemein auf den Sinn des Lebens vertrauen kann, dass alles, auch jeder Gedanke schlussendlich wertvoll ist.

 

Und wie kann es gelingen, dem anderen neue Denkimpulse zu geben?

 

Ich erlebe immer wieder das Geheimnis einer ungeplanten Inspiration, d.h. ohne es geplant zu haben, fällt mir genau der richtige Gedanke ein, der dann weiterhilft. Ich glaube, das können viele bestätigen, die Menschen in Krisensituationen begleiten.

 

Was hilft dabei, neue Gedanken in die Tat umzusetzen?

 

Nachdem die Gedanken in mir gereift sind, überprüfe ich sie, unterziehe sie sozusagen einem Fakten- und Wirklichkeitscheck, dann tausche ich mich mit anderen darüber aus oder versuche nachzulesen, wer auch schon so gedacht hat und zu welchem Ergebnis er gekommen ist, und dann geht's ans Ausprobieren. Nicht jeder meiner Gedanken übersteht diese Phasen, aber die, die übrig bleiben, erweitern meine Handlungsmöglichkeit. Und das Spannende daran ist, dieser Prozess geht immer weiter, hält uns geistig mobil.

 

Auch Bewegung spielt eine Rolle bei der geistigen Mobilität. Wo sehen Sie den Zusammenhang?

 

„Wenn nichts mehr geht, dann geh“, hat der Benediktinerpater Anselm Grün diesen Zusammenhang auf den Punkt gebracht. Denken und Bewegung hängen eng zusammen, auf körperlicher ebenso wie auf geistiger Ebene.

 

Kann man Stress und Anspannung also „weggehen“?

 

Durchaus, wenn man ein bisschen Ausdauer mitbringt. Jedes schnelle Gehen am Stück, also 35 Minuten und mehr, ist sehr sinnvoll, da nicht nur Glückshormone freigesetzt, Kalorien verbrannt und Verspannungen gelöst werden, sondern auch Gedankenblockaden sich auflösen: der Kopf wird frei.

 

Wie kann sich ein Mensch, der in seiner Mobilität eingeschränkt ist, dies zunutze machen?

 

Hier gibt es eingeschränkte und doch sehr wirksame Formen der Bewegung. Physiotherapeuten können da weiterhelfen. Sehr hilfreich sind auf jeden Fall Feldenkrais und Yoga.

 

Interview erschienen in moments - Magazin für MS-BetreuerInnen von Merck Serono, 03/2013