Das Leben ins Lot bringen


Fastenzeit ist Beichtzeit. Einerseits nimmt die Zahl der Beichten in Deutschland stetig ab, andererseits wächst die Sehnsucht nach Umkehr und Ermutigung. Grund genug, das Sakrament der Versöhnung neu zu entdecken.


Das Leben ins Lot bringen

Vor vielen Jahren wurde ich auf einen Geheimtipp im Kino hingewiesen. Damals war ich noch kein Priester, aber schon Franziskaner. Ich schaute mir den Film an und wurde während der Vorführung innerlich so ergriffen, dass mir immer wieder die Tränen kamen: Ich kam in diesem Film vor! Heute gehört er zu meinen Filmschätzen, auf die ich manchmal zurückgreife – wie jetzt.

 

„Broken silence“ von Wolfgang Panzer erzählt die Geschichte des Schweizer Kartäusermönches Fried Adelphi, der von seinen Oberen aufgefordert wird, die Stille des Klosters zu verlassen, um den auslaufenden Pachtvertrag seines Klosters in Indonesien verlängern zu lassen. Eine verzwickte Geschichte beginnt, gleichsam eine Lebensreise, wo Fried nach und nach sein Ordensleben über Bord wirft und mehrfach sündig wird. Es gelingt ihm aber, den Auftrag zu erfüllen. Am Ende der Geschichte geht er in einer New Yorker Kirche in einen Beichtstuhl und beichtet dem ehrgeizigen und machtgierigen Karrierekleriker Mulligan sein verzwicktes Leben. So beginnt der Film, so endet der Film - nur dass Mulligan ihn nach der Beichte in sein Haus einlädt mit den Worten: „Auch ich habe viel zu beichten.“

 

Diese Geschichte ist sehr lebendig in meiner Seele. Sie zeigt mir, wie verzwickt ein Leben sein kann, wie Menschen ihre Lebensspur verlieren können, sündig und schuldig werden und bei Gott doch einen Neuanfang machen dürfen. Dafür ist die Beichte, auch „Sakrament der Versöhnung“ genannt, seit Jahrhunderten ein hilfreiches Instrument. Sie kann es sein, wenn sie ehrlich und mit aufrichtigem Herzen abgelegt wird. Dann ist es nicht einmal wichtig, ob der Priester – wie Mulligan – ein zwielichtiger Beichtvater ist. Gott ist größer und kann auch auf „krummen Zeilen gerade schreiben“.

 

Nun bin ich schon seit vielen Jahren katholischer Priester. Seit über acht Jahren bin ich in Vierzehnheiligen, einem großen Wallfahrtsort in Oberfranken, wo traditionell noch viel gebeichtet wird. Meine Erfahrung dabei ist vielschichtig. Viele Beichten sind eher automatisch heruntergesprochene Fehlverhalten, für die der Beichtende vor allem die Befreiung der priesterlichen Lossprechung erfahren will. Manche Beichten aber sind „Tiefenbohrungen“ und führen zu echter Befreiung und Umkehr. Solche Erfahrungen hinterlassen auch bei mir als Beichtvater positive Eindrücke: Es gibt sie auch heute – echte Umkehrerfahrungen, echte Heilungen, echte Neuaufbrüche.

 

Die Beichte in der katholischen Kirche steckt in einem großen Wandlungsprozess – in den westlichen Industrieländern mit schweren Einbrüchen. Papst Franziskus sagte im März 2013 vor einer Priestertagung in Rom: „... lasst das Licht in den Beichtstühlen an, um zu zeigen, dass ihr da seid, und ihr werdet sehen, dass sich eine Schlange davor bildet.“ Dies mag vielleicht für lateinamerikanische Verhältnisse gelten, wo Papst Franziskus als Argentinier seine Erfahrungen machte. Hier in Deutschland nimmt die Beichtpraxis stetig ab. Einerseits wundert mich das nicht, weil das fast maschinenartige Heruntersagen von Sündenregistern in dunklen Beichtstühlen so gar nicht dem entspricht, was Menschen heute suchen. Andererseits spüre ich, dass Menschen zunehmend die Nähe eines Seelsorgers suchen und sich nach einem Verständigen sehnen, bei dem sie etwas abladen können und den sie mitunter auch um Rat bitten. Sie brauchen in Zeiten von Hypertransparenz, Durchleuchtetwerden und NSA-Skandalen die geschützte Atmosphäre eines geschlossenen Raumes, wo sie alles lassen können mit dem Wissen, dass es dort bleibt. Solch ein Schutzraum kann der Beicht- oder Gesprächsraum sein, wenn eine einladende Atmosphäre geschaffen wird.

 

Seit Jahren bin ich nicht nur Priester, sondern auch psychologisch-spiritueller Berater. Menschen von Nah und Fern suchen diese therapeutische Hilfe. Auf Monate bin ich ausgebucht. Die Verbindung von Priester und Therapeut lockt verunsicherte oder kritischer gewordene Suchende, die sich ja nicht nur als „Sünder“ sehen (dafür ist die Beichte zuständig), sondern auch als Menschen, die sich in persönlichen, zwischenmenschlichen oder vielen anderen Verwicklungen befinden und therapeutischen Rat wollen.

 

Beichte ist etwas ganz anderes als eine psychotherapeutische Intervention. Ich halte es da mit dem Psychiater Viktor Emil Frankl, der einmal sagte: „Das Ziel der Psychotherapie ist seelische Heilung, das Ziel der Religion jedoch ist das Seelenheil. Beide Bereiche können einander das angestrebte Ziel zu erreichen helfen.“

Wir leben heute in verschiedenen Gleichzeitigkeiten:

  • Gläubige Menschen gehen immer weniger zur Beichte und suchen immer mehr therapeutische Hilfe auf.
  • In der katholischen und zunehmend auch in der evangelischen (lutherischen) Kirche wird die Beichte ohne Bevormundung oder Gängelung als Lebenshilfe und Ermutigung zum Leben neu entdeckt.
  • Der Geschwätzigkeit und permanenten Öffentlichkeit in sozialen Foren wie Facebook und Twitter steht eine neue Sehnsucht nach Geheimnissen gegenüber. Die Psychologin Ursula Nuber schrieb hierzu ein bemerkenswertes Buch: Lass mir mein Geheimnis!: Warum es gut tut, nicht alles preiszugeben“. Besondere Geheimnisse gehören nur mir und dem „Gesprächspartner meiner intimsten Selbstgespräche“ - so nannte Viktor E. Frankl Gott. Indem man sich in der Beichte nicht nur Gott stellt, sondern auch einem anderen Menschen mit besonderem Auftrag, wird die Einsamkeit aufgebrochen. In der Beichte wird uns Gemeinschaft geschenkt, eine Gemeinschaft der "sündigen Heiligen" in der Gemeinde Christi. Der von den Nationalsozialisten hingerichtete evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer schrieb einmal: „In der Beichte geschieht der Durchbruch zur Gemeinschaft. Die Sünde will mit dem Menschen allein sein. Je einsamer der Mensch wird, desto zerstörender wird die Macht der Sünde über ihn. Die ausgesprochene, bekannte Sünde hat alle Macht verloren."
  • Der Bezug zu Gott und Kirche geht heute immer mehr verloren und gleichzeitig steigt die Sehnsucht nach „persönlichen Gotteserfahrungen“. Wo es in der Beichte weniger um Fehlverhalten und mehr um das Befinden und den Änderungswillen des Beichtenden geht, kann es zu einer solchen Gotteserfahrung kommen. Fast nirgendwo zeigt sich die Liebe Gottes so sehr wie im Geschehen der Versöhnung.

Der amerikanische Franziskaner und spirituelle Lehrer unserer Zeit, Richard Rohr, sagte einmal:

 

„Es ist eine wunderbar frohe Botschaft, dass wir zu Gott nicht durch unsere Vollkommenheit gelangen, sondern durch unsere Unvollkommenheit.“

 

Eine neu entdeckte und praktizierte Form der Beichte kann dabei eine große Hilfe sein. Mir geht dabei die verzwickte Lebensreise des Kartäusermönches Fried nicht aus dem Kopf. Seine ehrliche Beichte brachte nicht nur sein Leben wieder ins Lot.


Artikel in der Zeitschrift "Andere Zeiten" zum Kirchenjahr, 15. Jahrgang, 1/2014