Vierzehnheiligenfest
Von guten Mächten wunderbar geborgen...
Am zweiten Maisonntag versammeln sich über 2500 Wallfahrer in der oberfränkischen Basilika Vierzehnheiligen zum gleichnamigen Fest. Sie gedenken der Vierzehn Nothelfer, die im Mittelalter gegen Gefahren aller Art angerufen wurden und bis heute erstaunlich aktuell geblieben sind. Auch für Protestanten.
Der Brief, den Dietrich Bonhoeffer am 19. Dezember 1944 aus dem Berliner Gestapogefängnis an seine Verlobte Maria von Wedemeyer schrieb, machte Geschichte. Er enthält als „Weihnachtsgruß“ das Gedicht „Von guten Mächten treu und still umgeben“ – inzwischen in verschiedenen Vertonungen ein Klassiker unter den Kirchenliedern. Weniger bekannt ist, welches alte Kinderlied den evangelischen Theologen zu diesen Versen inspirierte. Bonhoeffer erwähnt es in dem gleichen Brief: „Abends, wenn ich schlafen geh, vierzehn Engel um mich stehn“. Dieser Abendsegen von Engelbert Humperdinck gab dem auf seine Verurteilung wartenden Inhaftierten Trost und Mut.
Die „vierzehn Engel“ beziehen sich auf die vierzehn heiligen Nothelfer, die seit dem Spätmittelalter einzeln oder als Gruppe verehrt und in Notlagen angerufen wurden. „Was unsere Tradition ‚Heilige‘ nennt“, sagt der Franziskanerpater Christoph Kreitmeir, „nennt Bonhoeffer eben ‚gute Mächte‘. Beides meint: In der geistigen Realität des Göttlichen gibt es Kräfte, die uns hier auf Erden beistehen und helfen.“
Als die Volksfrömmigkeit die Nothelfer ins himmlische Leben rief, fürchteten sich die Menschen vor allem vor der Pest, vor Feuer, Sturm, Viehkrankheiten und Ernteausfälle. Dementsprechend wurden den Heiligen – fast durchgängig Märtyrer mit schauerlichen Leidensgeschichten – bestimmte Patronate zugeordnet. Die Personen und Aufgaben variierten regional und zeitlich, aber ab dem 14. Jahrhundert setzte sich die sogenannte „Regensburger Normalreihe“ durch. Sie zeichnet sich durch eine Zusammenstellung aus, die man damals als besonders ausgewogen empfand: drei heilige Bischöfe, drei heilige Ritter, drei heilige Jungfrauen, dazu ein Arzt, ein Mönch, ein Knabe, ein Diakon und – als wohl bekanntester Vertreter der Nothelfer – ein Riese namens Christophorus. Die Zahl Vierzehn weist auf den von allen Heiligen bezeugten Jesus Christus hin, dessen Stammbaum im Matthäus-Evangelium in drei Gruppen à vierzehn Generationen aufgeteilt ist.
Weil die Funktionen der Nothelfer immer wieder neu gedeutet wurden, blieben sie über die Jahrhunderte aktuell. Christophorus als Schutzheiliger der Autofahrer schmückt auf Plaketten viele Armaturenbretter – und gab den Namen für das Porsche-Kundenmagazin. Blasius, der in römischer Gefangenschaft einst einen jungen Mann vor dem Ersticken an einer Fischgräte rettete, wird regelmäßig beim Blasiussegen am 3. Februar gegen Halskrankheiten angerufen. Startenor Plácido Domingo stand nach eigenen Angaben kein einziges Mal auf der Bühne, ohne vorher den heiligen Blasius um den Schutz seiner Stimme gebeten zu haben. Die Gebetsanliegen auf der Internetseite der Basilika Vierzehnheiligen, der wichtigsten Wallfahrtsstätte für die Nothelfer-Verehrung, zeigen aber, dass die vierzehn Heiligen vor allem als Gemeinschaft bei Sorgen aller Art angerufen werden – und das von erstaunlich vielen jungen Menschen.
Religiöses wird bodenständig
Warum sind die Heiligen heute noch so faszinierend? Pater Kreitmeir, Vikar im Franziskanerkloster Vierzehnheiligen, glaubt, dass ihre Verehrung Menschen hilft, sich überhaupt einem Gott zu nähern: „Während Gott für viele das Vorstellungsvermögen übersteigt, machen die einst irdischen Heiligen das Religiöse bodenständig.“ Christophorus und Blasius, Barbara und Katharina sind Vertreter einer Gegenwelt, Botschafter des Himmels auf Erden, deren Anrufung es erlaubt, Gottvertrauen zu haben, ohne die Gottesfurcht zu verlieren.
Und noch eine weitere Besonderheit macht die Nothelfer so modern: Ihre Leidensgeschichten adeln sie zu jenen „verwundeten Heilern“, denen Psychologen eine besondere Kraft zutrauen. „Nur wo der Arzt selbst getroffen ist, wirkt er“, schrieb Carl Gustav Jung. „Nur der Verwundete heilt.“ Der Benediktinermönch Anselm Grün sagt: „Die Nothelfer geben den Menschen den Mut, sich ihren Verletzungen zu stellen. Die Beschäftigung mit ihnen vermittelt die Botschaft: Krankheiten, aussichtslose Situationen und Ängste gehören zum Leben dazu.“ Zwar gilt dieser Gedanke auch für das Leben von Jesus, doch eignen sich die vierzehn Heiligen eher als der Gottessohn zum praktischen Vorbild, weil sie beide Geschlechter, alle Altersgruppen (der heilige Vitus starb als Siebenjähriger), verschiedene Berufe und soziale Schichten abdecken.
Mögen auch viele der Krankheiten, die die Nothelfer ursprünglich abwehren sollten, vom medizinischen Fortschritt ausgemerzt sein und viele andere Gefahren nur noch ein Fall für unsere Versicherungen sein – unsere Existenzängste sind dadurch nicht kleiner geworden. Ganz im Gegenteil, Angststörungen zählen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Wo das Rettende ist, wächst die Gefahr auch – in dieser umgekehrten Form scheint das berühmte Hölderlin-Zitat erst recht zu gelten. Vielleicht ist deshalb die Anrufung der Nothelfer heute wieder so aktuell. Wir verbinden uns mit einer jahrhundertealten Tradition der Angstbewältigung, die von Deutschland ausgehend die ganze christliche Welt umspannt.
Während die Gedenktage der vierzehn Heiligen vom 3.2. (Blasius) bis zum 4.12. (Barbara) über das ganze Jahr verteilt sind, gilt der zweite Maisonntag als Hochfest der Nothelferverehrung: Zum Vierzehnheiligenfest werden in der gleichnamigen Basilika bei Bad Staffelstein rund 2500 Besucher erwartet, über das gesamte Jahr kommen bis zu 600 000 Gläubige. Hier sollen im 15. Jahrhundert die vierzehn Nothelfer einem Schäfer in Kindsgestalt erschienen sein und ihn gebeten haben: „Wir wollen eine Kapelle haben. Und willst du unser Diener sein, dann wollen wir deine Diener sein.“ Pfarrer Josef Treutlein, der seit 1983 jährlich eine immer beliebter werdende Männerwallfahrt geistlich betreut, stellt fest, dass die Gläubigen heute ähnlich starke religiöse Erlebnisse haben: „Wenn die 350 bis 400 Männer nach den langen Fußmärschen in der Basilika ankommen, werden sie regelrecht übermannt – da bleibt kein Auge trocken.“
Beitrag von Frank Hofmann in "Andere Zeiten", Ausgabe 02/2016
Fotos: P. Christoph Kreitmeir