Ein Gebet rüttelt auf


 

Die Schöpfungszeit im September lädt Christen dazu ein, sich ihrer Verantwortung für die Schöpfung bewusst zu werden. Sie endet am 4. Oktober, dem Gedenktag des Heiligen Franz von Assisi.

Mit seinem Sonnengesang setzte er schon vor 800 Jahren ein Zeichen gegen Ausbeutung und Unge-rechtigkeit.

Franz von Assisi (1182 – 1226) fällt Men­schen berechtigterweise als erster Heiliger ein, wenn es um Fragen der Natur, der Umwelt, der Schöpfung, der Gerechtigkeit, des guten Miteinanders und einer spirituellen Grundausrichtung geht. Nicht selten wird aber von seinem Umgang mit der Natur ro­mantisch und etwas weltfremd geschwärmt, was erstens nicht richtig und zweitens nicht hilfreich ist.

 

Franz von Assisi lebte ähnlich wie wir heu­te in einer Umbruchzeit, in der wirtschaftlicher Erfolg, Besitztum und Geld zum alles bestimmenden Wert und Maßstab wurden. Ungerechtigkeit, Ausbeutung, Ausgrenzung, Auf-der-Strecke-Bleiben waren die Folgen. Franziskus wandte sich aufgrund einer inneren und äußeren primär spirituell geprägten Wandlung radikal wie kaum einer vor und nach ihm gegen diese Entwicklungen. Ganz in der christlichen Tradition stehend trat er für die Armen zuerst, für Frieden, Gerechtigkeit und für einen geschwisterlichen Um­gang mit der Schöpfung ein. Da er dies sehr authentisch tat, folgten ihm sehr bald und bis heute Gleichgesinnte, deren innere Hal­tung ähnlich und mittlerweile Religions- und Konfessionsgrenzen übergreifend ist. Franz von Assisi gilt im Hinduismus, im Buddhismus, im Islam, bei Ethikern und Phi­losophen, bei religiösen und nichtreligiösen Menschen als ›Medikament Gottes‹ gegen eine immer mehr weltzerstörende Krankheit namens Egoismus.

 

Franz von Assisi ist das Beispiel einer authentisch gelebten ganzheitlichen Ökologie, wie sein berühmter Sonnengesang "Laudato Si" aus dem Jahr 1225 bis heute zeigt. Am Ende seines Lebens brachte der heilige Franziskus seine Vorstellung der geschwis­terlichen Verbundenheit aller Wesen und Dinge in diesem Lied zum Ausdruck, die in seiner konkreten spirituellen Praxis grün­dete. Die Grundmelodie dieses Textes atmet den Geist der Einfachheit, des Glückes und der Zufriedenheit.

 

Papst Johannes Paul II. ernannte ihn 1979 zum Patron des Umweltschutzes und seit 2015 thematisiert Papst Franziskus, der be­wusst als erster Papst der Kirchengeschichte den Namen des Heiligen Franziskus annahm, den Umwelt- und Klimaschutz, bestehende soziale Ungerechtigkeiten und die Erschöp­fung der natürlichen Ressourcen. In seiner Umweltenzyklika "Laudato Si" (2015), die auch Ausdruck einer tiefen Spiritualität ist, for­dert er in der Sorge um unser gemeinsames Haus (Erde) einen neuen Lebensstil: Entschleunigung, Achtsamkeit, Demut, spirituelle Gottbezogenheit. Dabei wendet er sich ausdrücklich nicht nur an Katholiken, son­dern an alle Menschen auf unserem Planeten Erde. "Laudato Si" will wachrütteln, ermutigen und zur drängenden Umkehr aufrufen. Das geht wie alles im Leben nur, wenn es nicht bei der Theorie bleibt, sondern zu einem Handeln im Alltag führt. Neu denken, neu fühlen, neu handeln.

 

Franz von Assisi war kein Theoretiker, er war ein Praktiker, ein Mensch, der weniger theologische Erkenntnis, sondern vielmehr spirituelle Erfahrung suchte und lebte. Spiritualität muss man erfahren, schmecken und fühlen. Wenn sie in Fleisch und Blut übergeht, dann wird sie auch das Denken und das Handeln verändern. Und genau hier liegt das große Problem. Religiöses Leben ist heute für viele Menschen langweilig, zahnlos und unbedeutend geworden, weil es mit unserem ganz normalen Leben nicht mehr viel zu tun hat. Wenn Menschen sich aber durch Pilgern, Wallfahrten, Fastenzei­ten, Exerzitienkurse und Ähnliches auf eine Erfahrungsreise machen, werden sie verän­dert und ihre Spiritualität bekommt eine neue Erdung.

 

Der amerikanische Franziskaner Richard Rohr OFM bietet seit langer Zeit Erfahrungszeiten an, die wirkliche innere Ver­änderung und Transformation nach sich ziehen. Im deutschsprachigen Raum gibt dieses praktisch-franziskanisch-spirituelle Gedankengut Jan Frerichs OFS durch seine Franziskanische Lebensschule weiter, in der er Menschen in geistlichen Auszeiten und Übergangsriten zu sich selbst, zu Gott und einer tieferen und sich engagierenden Spiritualität führt.

 

Die Landesstelle der Katholischen Landju­gend Bayerns brachte diese grundlegenden Erkenntnisse von Papst Franziskus und die Notwendigkeit, vom Kopf ins Fühlen, Erle­ben und Handeln zu kommen, in ihrem Werkbrief "Laudato Si – Schöpfungsspiritualität in der Praxis" 2016 sehr gut auf den Punkt: 1. Wahrnehmen. Genau hinschauen, was ist, und zuhören, was Menschen, Wissenschaf­ten und die Schöpfung erzählen. 2. Sich berühren lassen. Wer genau hinsieht und das Gesehene an sich heranlässt, entdeckt im Erfahrenen Anteile von sich selbst. Dadurch wird ein persönliches Anliegen zum Motor eines Engagements. 3. Umkehren – sich dem Wandel öffnen. Mut haben, zu Fehlern und Schwächen zu stehen, Bequemlichkeiten abzulegen, eigenes Handlungs- und Wandlungspotenzial zu entdecken und umzuset­zen. 4. Verinnerlichen – neue Gewohnheiten ausprobieren und einüben. Kreativ nach neuen Wegen und Lebensweisen suchen. Immer wieder anfangen, anders und einfacher zu leben. Sich von anderen inspirieren lassen und entdecken, was wirklich notwendig ist. 5. Feiern und sich freuen. Vergiss bei alledem die Freude nicht! Es geht nicht um weniger, sondern um mehr Leben: weniger Haben und mehr Sein! Es geht um eine neue Kultur der Liebe und der Achtsamkeit.

 

Artikel: Christoph Kreitmeir

in: andere zeiten. Das Magazin zum Kirchenjahr 3/2018, 6-7.

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