Unterscheidung ... ungern


"Jesus unterscheidet zwischen Gläubigen und Ungläubigen" - Ungern!

 

Die berühmte Statue vom "blinden Seher" ist vielen Menschen bekannt:

Ein alter Mann tastet sich mit der linken Hand vorsichtig in den Raum vor -

die typische Geste eines Blinden.

Der andere Arm aber tastet nach vorne, auf ein fernes Ziel hin.

Auch die leeren Augenhöhlen des Blinden sind dorthin gerichtet.

Sein Gesichtsausdruck verrät deutlich: der Blinde sieht.

 

Was wir mit den Augen sehen, ist laut.

Es drängt sich auf und schiebt sich über unsere anderen Sinne.

Wer keine Augen hat, nutzt die anderen Sinne:

Er riecht doppelt, fühlt doppelt, schmeckt doppelt.

Und er entwickelt Wahrnehmungsorgane, von denen der Sehende nichts ahnt.

Er schaut hinter die sichtbare Welt.

Darum schätzen die alten Kulturen den "blinden Seher" so hoch.

Vielleicht können wir heute noch von den Blinden lernen,

wo uns die Bilder umfluten und betäuben wie noch nie.

 

Jesus spricht ungern von "Gläubigen" und "Ungläubigen"

oder von "Bekehrten" und "Unbekehrten" -

er unterscheidet einfach zwischen Sehenden und Blinden.

Damit macht er deutlich:

Glauben erfordert keine besonderen Fähigkeiten oder übermenschlichen Anstrengungen. Alles, was dazu notwendig ist, ist Offenheit.

So wie man die Augen aufmacht, und sieht, was vor einem ist,

so soll unser Herz, unsere ganze Person offen sein, es geschehen lassen,

die uns die Sicht versperren.

Getönte Brillen, die uns die Wirklichkeit verzerren.

Man nennt das Ideologie, und es gibt kaum etwas, was Jesus so wütend macht,

wie solche Denkschablonen:

Wenn Menschen nicht auf Menschen sehen,

sondern auf ein System, eine Idee, irgendetwas, das wichtiger ist als der Mensch,

der gerade vor ihm steht.

 

(Werner Tiki Küstenmacher, Die drei Minuten Bibel, München 2006, Seite 165 ff.)