Scheunengleichnis


Wie steht der durchschnittliche Mensch zur "Zeit"? Er sieht nur das Stoppelfeld der Vergänglichkeit - aber er sieht nicht die vollen Scheunen der Vergangenheit.

 

Er will, daß die Zeit stillestehe, auf daß nicht alles vergänglich sei; aber er gleicht darin einem Manne, der da wollte, daß eine Mäh- und Dreschmaschine stille steht und am Platz arbeitet und nicht im Fahren; denn während die Maschine übers Feld rollt, sieht er - mit Schaudern - immer nur das sich vergrößernde Stoppelfeld, aber nicht die gleichzeitig sich mehrende Menge des Korns im Innern der Maschine.

 

So ist der Mensch geneigt, an den vergangenen Dingen nur zu sehen, daß sie nicht mehr da sind; aber er sieht nicht, in welche Speicher sie gekommen. Er sagt dann: sie sind vergangen, weil sie vergänglich sind - aber er sollte sagen, vergangen sind sie; denn "einmal" gezeitigt, sind sie "für immer" verewigt

 

(Viktor E. Frankl, Zeit und Verantwortung: Der Wille zum Sinn. Ausgewählte Vorträge über Logotherapie, München - Zürich, 2. Aufl. 1994, S. 56)