Fremdeln


"Unser Kind fremdelt",

sagen entschuldigend Eltern,

weil ihr Kind mir

nicht die Hand geben will,

stattdessen den Kopf

im Kleid der Mutter vergräbt

und zu weinen beginnt,

als ich näher komme.

 

"Unser Kind fremdelt,

aber das wird sich geben,

es ist jetzt in dem Alter."

 

"Fremdeln",

Angst haben vor Fremden,

ist eine Phase

in der Entwicklung des Kindes,

wenn die Welt größer wird

als die vertraute Familie.

 

"Fremdeln",

das geht vorüber

in einer gesunden Entwicklung.

Nicht selten werden später

Fremde Freunde.

 

"Fremdeln",

das taten die Juden

zur Zeit Jesu

gegenüber den Samaritern.

"Die Juden verkehren nicht

mit den Samaritern",

heißt es lapidar

bei Johannes (Joh 4,9)

 

"Fremdeln"

Jesus tat es nicht:

"Gib mir zu trinken",

bat er die Fremde,

die Frau aus Samaria

am Jakobsbrunnen.

Ein langes Gespräch

führte er mit ihr.

Und auch sie

"fremdelte" nicht.

Das wurde ihr zum Heil.

 

"Fremdeln" -

Jesus tat es nicht:

"Er hielt nicht daran fest,

wie Gott zu sein.

Er wurde Mensch,

uns Menschen gleich."

(vgl. Phil 2, 5-11)

Das wurde uns zum Heil.

 

"Fremdeln":

das erlebe ich zur Zeit

in unserem Land.

 

Fremde kommen,

die große Welt

wird kleiner.

Entfernungen schrumpfen,

Grenzen fallen,

Menschen verschiedener Herkunft

rücken sich näher.

Fremde kommen,

Verfolgte,

Lebensbedrohte,

sie suchen Schutz.

 

Fremde kommen,

aus Armut,

manchmal aus Elend:

leben wollen sie,

Chancen suchen sie,

Menschen suchen sie,

die mit ihnen teilen,

was sie reichlich haben.

 

"Fremdeln" -

unsere Gesellschaft tut´s

angesichts dieser Fremden:

Politiker wollen

das Grundgesetz ändern,

damit sie draußen bleiben,

die Fremden,

"die Schein-Asylanten",

die wir der jeweiligen

Konkurrenzpartei verdanken -

so die

Schein-Argumentation.

 

Stammtischpolitiker

- in sicherem Abstand -

wissen genau, was die wollen,

die Fremden,

ohne sie je gefragt zu haben:

"Unser Geld!"

"Die sollen hingehen,

wo sie hergekommen sind!"

 

Skinheads,

stolz darauf,

Deutsche zu sein,

präsentieren viel Kopf,

doch wenig Hirn

und prügeln ein

auf die Fremden,

"die hier nichts

zu suchen haben".

 

"Unser Kind fremdelt",

will den Fremden

keine Hand reichen,

fängt an zu schreien,

wenn sie sich nähern,

vergräbt den Kopf

im Rock der Mutter:

des Wohlstands,

des Nationalismus,

der rechten Ideologie

- und schlägt um sich,

wenn sie doch näher kommen,

die Fremden.

 

"Vergesst

die Gastfreundschaft nicht;

denn durch sie

haben einige,

ohne es zu ahnen,

schon einen Engel beherbergt!",

rät der Hebräerbrief (13,2)

für die Begegnung mit Fremden.

 

"Fremdeln",

das passt nicht zu dir,

wenn du dich Christ nennst,

das Evangelium lebst.

"Geht zu den Fremden,

bis an die Grenzen der Welt

und macht sie zu Jüngern,

zu Freunden!"

beauftragt Jesus die,

die ihm folgen.

 

"Fremdeln"

das tat auch der nicht,

den sie

einen zweiten Christus

nannten:

Franziskus.

 

Er umarmte den Ausgesetzten:

"Was mir vorher

unerträglich bitter

erschien,

wandelte sich in Süßigkeit" -

schreibt er.

 

Und als sie alle

unter dem Zeichen des Kreuzes

bewaffnet bis unter die Zähne

gegen die Sarazenen kämpften,

ging er unbewaffnet

zum fremden, heidnischen Sultan,

und redete mit ihm.

 

"Fremdeln" -

um unseretwillen,

um der Fremden willen,

um der Menschheit willen,

um des Evangeliums willen,

um Gottes willen:

 

Ich hoffe,

"das wird sich bald geben"!

Den ersten Schritt dazu

kann

ich

heute

tun:

 

wie jene alte Dame,

die mit achtzig Jahren

Völkerverständigung lebt:

Sie kauft nebenan

im türkischen Geschäft;

sie plaudert mit der

Nachbarin,

unter deren Kopftuch

gebrochenes Deutsch

aus dem Mund kommt.

Und weil sie freundlich ist,

grüßen sie auch

die türkischen Kinder:

"Hallo, Oma", rufen sie

und winken zu ihrem Fenster.

"Die sind alle so nett!",

sagt sie glücklich!

 

"Sei gastfreundlich

zu Fremden;

mancher ist dadurch schon

Engeln begegnet!"

 

 

Heribert Arens OFM