Echo der Seele


Ich erinnere mich, wie ich als Kind das Echo entdeckte. Es war, als mein Vater mich zum ersten Mal zum Viehhüten in die Berge mitnahm. Als wir an einer Kalksteinklippe vorbeikamen, rief er nach dem Vieh, das sich in einiger Entfernung von uns befand. Sein Ruf war kaum verklungen, als er vom Stein exakt nachgebildet und wieder zurückgeworfen wurde.

 

Es war eine faszinierende Entdeckung. Ich probierte es selbst aus, und jedes Mal warf das Echo meine Stimme unverändert zurück. Es war so, als ob die massiven Kalksteinberge mit geheimen Gehörsinn und Stimme ausgestattet seien. Ihre natürliche Reglosigkeit und Stille brachen unvermittelt in eine exakte Nachahmung der menschlichen Stimme aus, die darauf hindeutete, dass in den Tiefen des Schweigens ein mitschwingendes Herz ruht ...

 

In der Einsamkeit der Berge unser Echo zu vernehmen lässt uns erahnen, dass wir nicht allein sind. ... Wir leben in einer Welt, die auf unsere Sehnsucht anspricht; sie ist ein Ort, wo die Echos stets, wenn auch bisweilen langsam, zu einem zurückkehren. ...

 

Der Hunger nach Zugehörigkeit ist das Herz unseres Wesens. ... Das Gefühl der Zugehörigkeit ist das natürliche Gleichgewicht unseres Lebens.

 

John O´Donohue, Echo der Seele. Von der Sehnsucht nach Geborgenheit, 6. Auflage 2008, S. 9.