Predigt am 4. Fastensonntag, Lj. A – 2017

(Lesung: Eph 5, 8-14; Evangelium: Joh 9, 1.6-9.13-17.34-38)


„Blinde Kuh“ – wer kennt dieses Spiel aus der Kindheit nicht?

 

Jemandem werden mit einem Tuch oder Schal die Augen verbunden. Die anderen Mitspieler laufen weg oder um den „Blinden“ herum, hänseln und ärgern ihn. Wenn aber die „blinde Kuh“ jemanden ergreifen kann, dann wechseln sich die Rollen.

Das Spiel kann lustig sein, es kann aber auch bitterböse werden, wenn getrickst oder zu sehr gehänselt wird.

 

„Blinde Kuh“ ist nicht nur ein Kinderspiel, es ist auch ein verstecktes und böses Gesellschaftsspiel: man will durch Informationsvorsprung oder dem bewussten Zurückhalten von offensichtlichen Tatsachen, man will durch Tricksen andere für blind und dumm verkaufen. In der Werbung, in der Politik, in der Wirtschaft, bei den Geheimdiensten ... und im ganz normalen Arbeits- und Zusammenleballtag – überall wird dieses „Spiel“ praktiziert. Mal ist man der Blinde und Getratzte, mal ist man der, der den anderen ärgert oder für dumm verkauft.

 

Mir stellt sich die Frage, wer ist da eigentlich der Blinde?

 

In der Evangeliumsgeschichte von heute hören wir von einem blinden Bettler, seinen Nachbarn und Bekannten, den Phärisäern und von Jesus. Jesus heilt den Blinden. Seine Bekannten erkennen ihn nicht mehr wieder und bringen ihn zu den frommen Gesetzeshütern, den Pharisäern. Natürlich geht es dann wieder um Erbsenzählerei: an einem Sabbat darf nicht geheilt werden. Damit greifen sie Jesus an und zugleich halten sie den vorher Blinden klein und beschimpfen ihn als „ganz und gar in Sünden geboren“ und werfen ihn hinaus – schließen ihn aus,

Sie tratzen und hänseln ihn nicht nur, sondern sie spielen ein böses und bis heute aktuelles Spiel: was nicht sein darf, das kann nicht sein. Du darfst dich nicht ändern, du musst klein bleiben. Und wenn du doch auf die Sonnenseite des Lebens kommst, dann schließen wir dich trotzdem aus.

 

Ach herrje ...

 

Mir stellt sich die Frage, wer ist da eigentlich der Blinde?

 

Wer in seinem Leben schon einmal erleben musste, dass sein Augenlicht bedroht war, wer schon einmal erfahren musste, dass er zeitweise nicht oder fast nicht mehr sehen konnte, der sieht und schätzt das Sehen und das Augenlicht ganz anders.

 

Wer in seinem Leben schon einmal erleben musste, dass er von anderen ausgeschlossen wurde, einfach nicht dazugehören durfte, wer dieses Mobbing nicht nur einmal, sondern immer wieder erfahren hat, der schätzt es umso mehr, wenn es jemanden gibt, der dich annimmt, der dich zu sich holt, der dich äußerlich und damit auch innerlich berührt, der dich sehend für das Eigentliche im Leben macht.

 

Dieser Jemand war für den Blinden damals JESUS. Dieser Jemand ist auch heute Jesus, der innerlich frei und heil andere auf die Seite des Lichtes führen will.

 

Wir leben in einer Zeit, in der das Sehen überbetont wird. Dadurch werden unsere anderen Sinne weniger entwickelt. Ich persönlich schließe immer wieder meine Augen und schule dadurch mein Riechen, Tasten, Schmecken und vor allem das Hören neu. Manchmal kommt es mir so vor, als ob diese Sinne nur darauf warten, endlich auch einmal an der Reihe zu sein.

Das Hören zum Beispiel ist dann nicht mehr nur ein Hören, es wird zu einem Lauschen, zu einem Horchen und einem Staunen. Wer ab und zu seine Sehkraft wie mit einem Tuch oder einem Schal abdeckt, entdeckt andere Sinneswelten, die echte Schätze bereithalten.

 

Anders als beim Spiel „Blinde Kuh“ wird er nicht gehänselt oder getratzt, sondern in seinem Suchen und Tasten findet er den Sinn hinter den Sinnen – er kann Gott finden, ihn in Jesus Christus ergreifen. Dieser wartet gleichsam darauf, dass wir ihn suchen ... und ... finden, damit er unsere Blindheit, mit der wir so oft geschlagen sind, heilen kann.

 

„Jesus hörte, dass sie ihn hinausgestoßen hatten, und als er ihn traf, sagte er zu ihm: Glaubst du an den Menschensohn?

Der Mann antwortete: Wer ist das, Herr? Sag es mir, damit ich an ihn glaube.

Jesus sagte zu ihm: Du siehst ihn vor dir; er, der mit dir redet, ist es.

Er aber sagte: Ich glaube, Herr! Und er warf sich vor ihm nieder.“ (Joh 9, 35-38)

 

Wer hinter der Welt des Sinnlichen die Welt des Sinnes entdeckt, der wird innerlich ergriffen und beugt sich vor diesem Geheimnis.

 

Wer hinter der Welt des Banalen und Brutalen die Welt Jesu, seine Barmherzigkeit und Liebe entdeckt, staunt über diese so ganz andere Schönheit und wirft sich freiwillig und gerne vor diesem Geheimnis nieder.

 

 

Schönheit

 

Das einzige Mittel, für das Leben im Innern in seiner großen Schönheit zu erwachen,

besteht darin, zuerst der äußeren Schönheit zugänglich zu werden.

Wenn wir nicht auf unsere Welt mit aller ihrer unbegrenzten Schönheit,

auf die Natur und ihre Erhabenheit, auf Menschen, denen Gott innewohnt, achten,

wozu sind wir dann hierhergekommen und was haben wir hier vollbracht?

 

Wer sie nicht beachtet, wendet sich von etwas ab, das er unablässig sucht.

Er ist sein eigener Feind. Deshalb kann er weder geistig noch religiös sein.

Wenn er allem Schönen, das ihn umgibt, die Augen verschließt, kann er sich nicht begeistern. Wenn nur die innere Schönheit der einzige Lebenszweck wäre,

hätte Gott den Menschen nicht erschaffen und auf die Erde gesandt.

Ferner ist es die Schau der Schönheit auf der Erde,

welche die Vision der im Geiste vorhandenen Schönheit in uns wachruft.

 

Man sagt, sie sei sinnlich und beraube der Erleuchtung.

Das geschähe allerdings, wenn wir ganz in ihr aufgingen, nur in ihr lebten

und nicht daran dächten, dass es außer ihr noch etwas anderes gibt.

Denn alle äußere Schönheit ist zweifellos vergänglich.

Sie geht vorüber, und deshalb ist kein Verlass auf sie.

 

Wer ganz auf diese Schönheit baut, wer ganz in ihr aufgeht

und wer ganz von ihr befangen der ewigen Schönheit den Rücken zukehrt,

ist ohne Zweifel im Irrtum.

Indessen hat keine Seele jemals die geistige Schönheit im Innern erschaut,

ohne für die äußere Schönheit erwacht zu sein.

 

(Hazrat Inayat Khan in: Worte die gut tun. Herausgegeben von Christian Leven.

Herder Verlag, Freiburg Basel Wien 1998)