Predigt am Fest der Hl. Familie


Vielleicht sollten wir uns als Erstes davor hüten, uns die Heilige Familie idyllischer zu denken und auszumalen, als sie es in Wirklichkeit war. Sicher, Maria, Josef, Jesus, alle drei sind sie voller Segen und Gnade Gottes. Aber heilig im Sinne von jenseits aller menschlichen Wirklichkeit war auch die Heilige Familie nicht. Jesus kommt nicht als nur den Menschen ähnliches Wesen auf die Erde, sodass er dann in seiner Heiligkeit an allem Menschlichen vorbei heranwächst. Maria und Josef sind nicht nur seine Ernährer. Nein, Jesus wird ganz ein vollkommener Mensch bis in sein innerstes Wesen hinein. Er muss Laufen und Sprechen lernen, sein Herz und seinen Charakter formen, sein Denken trainieren und auf das Gute hin ausrichten und seine Gefühle ordnen.

 

All das, was ihn später auszeichnet und anziehend macht - Feingefühl, Liebe zu den Einfachen und Armen, Bereitschaft, Not zu wenden, Leidenden beizustehen, bei der Wahrheit zu bleiben, Schwerem nicht auszuweichen - erlernt er Schritt für Schritt in seiner Familie.

 

Dass dies zu allen Zeiten eine Aufgabe der Erziehung war, zeigt dieses Märchen der Gebrüder Grimm:

Der alte Großvater und der Enkel

 

Es war einmal ein steinalter Mann, dem waren die Augen trüb geworden, die Ohren taub, und die Knie zitterten ihm. Wenn er nun bei Tische saß und den Löffel kaum halten konnte, schüttete er Suppe auf das Tischtuch, und es floss ihm auch etwas wieder aus dem Mund.

 

Sein Sohn und des­sen Frau ekelten sich davor, und deswegen musste sich der alte Großvater endlich hinter den Ofen in die Ecke setzen, und sie gaben ihm sein Essen in ein irdenes Schüsselchen und noch dazu nicht einmal satt; da sah er betrübt nach dem Tisch, und die Augen wurden ihm nass. Einmal auch konnten seine zitterigen Hände das Schüsselchen nicht festhalten, es fiel zur Erde und zerbrach. Die junge Frau schalt, er sagte aber nichts und seufzte nur. Da kaufte sie ihm ein hölzernes Schüsselchen für ein paar Heller, daraus musste er nun essen.

 

Wie sie da so sitzen, so trägt der kleine Enkel von vier Jahren auf der Erde kleine Brettlein zusammen. „Was machst du da?“, fragte der Vater. „Ich mache ein Tröglein“, antwortete das Kind, „daraus sollen Vater und Mutter essen, wenn ich groß bin “ Da sahen sich Mann und Frau eine Wei­le an, fingen endlich an zu weinen, holten alsofort den alten Großvater an den Tisch und ließen ihn von nun an immer mitessen, sagten auch nichts, wenn er ein wenig ver­schüttete.

 

(Brüder Grimm in: Weisheit für die Seele. Gute Gedanken für alle Tage. Herausgegeben von Sylvia Müller und Ulrich Sander. Herder Verlag, Freiburg Basel Wien 2007)

 

Zurück zur Hl. Familie. Trotz aller Normalität der Heiligen Familie ist eines an ihr bewundernswert: Sie lebt in tiefer Gottverbundenheit und bemüht sich, in der Kraft Gottes seinen Willen zu erfüllen. In der Familie Jesu bestimmen Gottes Wille und seine Weisungen das Denken und Handeln. Daher kann Gott neben seiner Zuwendung der Gnade auch mit seinen Zumutungen immer wieder bei Maria und Josef landen. Beide sind bereit, ihre sicher vorhandenen eigenen Lebenspläne von Gott durchkreuzen zu lassen. Sie verzichten auf eine Lebensgestaltung allein nach ihren Vorstellungen. Dieses Verhalten setzt enormes Gottvertrauen voraus.

 

Dieses Gottvertrauen können wir von Kindern lernen, auf die wir besonders um Weihnachten herum unsere Aufmerksamkeit lenken. Lenken wir doch jetzt einmal unsere Aufmerksamkeit auf das „Kind in uns“ und sehen diese Welt mit den Augen eines Kindes, wie es uns der belgische Ordensmann Phil Bosmans empfiehlt:

Mit den Augen eines Kindes

 

„Herr, gib mir ein wenig Sonne. Gib mir ein Lächeln für diesen Tag. Gib mir die Augen eines Kindes. Herr, gib mir ein bisschen Freude.“

 

Steig jeden Morgen mit einem solchen Gebet aus dem Bett. Schau nicht so schrecklich ernst und wichtig drein. Ich weiß, vor dir liegen vielleicht große Probleme. Aber mach sie nicht größer, als sie wirklich sind. Dann werden sie zu riesigen, schwarzen Wolken, die alles verfinstern.

 

Du musst kein Berufsoptimist sein, aber wer alles schwarz sieht, für den sieht selbst die Sonne schwarz aus. Wer sich mit materiellen Dingen überfüttert, wird krank infolge geistiger Unterernährung.

 

Wünsch dir die Augen und das Herz eines Kindes, das quietschvergnügt über den verbotenen Rasen rennt, das über einen kleinen Fisch im Wasser staunt, das nach den Sternen fragt, wer sie angezündet hat. Niemals mag es dich wegen eines dicken Portemonnaies, sondern weil du mit ihm spielst und lachst, weil du fantastische Geschichten erzählen und lustige Lieder singen kannst.

 

(Phil Bosmans in: Weisheit für die Seele. Gute Gedanken für alle Tage. Herausgegeben von Sylvia Müller und Ulrich Sander. Herder Verlag, Freiburg Basel Wien 2007)

 

In diesem Sinne wünsche ich mir und Ihnen die Augen und das eines Kindes, das uns Lebensfreude und Gottvertrauen – trotz allem – lehrt.

 

Amen.