Predigt am 5. Sonntag nach Ostern, Lj. B – 2018

(Lesung: Apg 9, 26-31; Evangelium: Joh 15, 1-8)


In unserer modernen Zeit musst du auf dich allein gestellt dein Leben meistern können. Du brauchst Selbständigkeit in der Ausbildung, im Beruf, ja auch in deinen Beziehungen. Ohne Selbständigkeit gehst du ganz schnell unter.

Ich stimme dem Gesagten im Großen und Ganzen zu, aber ... und jetzt folgt ein großes ABER.

 

Wer nur auf sich allein gestellt sein will, der muss es dann auch bald. Er wird nicht selten erfahren, dass er alleine ist und alleine bleibt. Was nützt ihm seine Selbständigkeit, wenn er in Krisenzeiten, in Krankheit und Not auf sich alleine gestellt ist. Und nicht nur in solchen Zeiten, auch im ganz normalen Leben müssen und dürfen wir wieder neu erkennen, dass wir dem Zeitgeist der Versinglelung und Vereinsamung entgegenwirken müssen.

 

Bei uns war es noch vor 40/50 Jahren so, wie wir es z.B. bei islamischen Familien vor Augen geführt bekommen: Der Einzelne wird durch seine Verwandten umgeben und gestützt ... aber auch eingeschränkt oder gegängelt. Die Befreiung aus allzu engen Familienbanden in den letzten Jahrzehnten in unserer Gesellschaft war gut, aber sie produziert viel Alleinsein und Einsamkeit. Eine Verbindung zum Familien- und Freundesbaum ist lebenswichtig, eine Eigenständigkeit aber auch. Wie so oft wird die Lösung in der gesunden Ausbalanzierung dieser beiden Pole liegen.

 

Im Evangelium von heute weist Jesus aber plakativ auf eine Entweder-Oder-Entscheidung hin. „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.“

Wie passt das in unsere Zeit heute?

 

Die persönliche Freiheit, die eigenen Einstellungen und Entscheidungen gelten bei uns als sehr wichtig. Aber als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter Jesu kann man keine reine Individualistin oder kein reiner Individualist sein. Um mit Jesus verbunden zu sein, braucht man ein persönliches Verhältnis zu ihm. Dies ist vergleichbar mit einer familiären Beziehung. Jesus und seine Jüngerinnen und Jünger sind zwar alle sehr unterschiedlich und auch selbständig, sie sind mit ihm aber aufs Engste verbunden und gehören zu derselben „Großfamilie“.

 

Als Christ oder Christin machen wir zwar „unser Ding“ in unserem Leben, jeder irgendwie sein eigenes. Aber wir verbinden uns im Unterschied zu denen, die nicht glauben, immer wieder mit IHM, weil er unsere Inspiration, unser Geistgeber, weil er unsere Kraft- und Energiequelle ist.

 

Es ist wirklich so: Sobald du einen Ast oder einen Zweig, geschweige denn eine Frucht von der lebenssaftgebenden Versorgungsader abzwickst, vertrocknen und verkümmern sie alle.

 

Alle Reben bekommen ihren Lebenssaft über verschiedene Kanäle vom Weinstock und seinen Wurzeln.

Alle Apostel arbeiteten auf ihre Weise sehr unterschiedlich. Sie hatten sogar manchmal handfeste Meinungsverschiedenheiten, einigten sich aber immer wieder in Anbindung an den Geist ihres Meisters, Jesus Christus.

 

Und so ist es zum Beispiel wunderbar in der Lesung aus der Apostelgeschichte zu hören, wie einer der Jünger Jesu, Barnabas, sich des Saulus/Paulus annahm, vor dem die anderen alle Angst hatten, weil er die Anhänger und Anhängerinnen Jesus bis vor seiner Bekehrung erbarmungslos verfolgte.

Barnabas brachte einen neuen vom Herrn selbst berufenen Rebzweig zu den anderen Rebzweigen, erinnerte an den gemeinsamen Rebstock und pfropfte ihn gleichsam dort auf.

 

Winzer machen das auch. Sie veredeln Weinstöcke und damit die Qualität des dann später daraus gewonnenen Wein, indem sie andere Rebzweige aufpfropfen. Eine neue Weinsorte entsteht ...

 

Ohne Saulus/Paulus wäre die Kirche nicht das geworden, was sie geworden ist. Sie wäre eine jüdische Sekte geblieben. Durch Paulus bekam die Kirche Weltcharakter und Weltqualität.

 

Wer, wie Barnabas, aus dem Wort und dem Geist seines Lehrers Jesus lebt, kann Bestehendes veredeln und zu noch besserer Frucht bringen, indem er Getrenntes vereint.

 

„Dranbleiben“ heißt die Devise. Zwar selbständig und originell sein, aber Dranbleiben am Ursprungsgeist Jesu Christi und Dranbleiben am Weinstock seiner Kirche. Dann entsteht immer wieder etwas Neues, Gutes und Aufbauendes. Amen.