Predigt am 12. Sonntag i. Jkrs., Lj. B – 2021

(Lesung: 2 Kor 5, 14-17; Evangelium: Mk 4, 35-41)


Es gibt Geschichten um Jesus, die wir kaum zu glauben wagen. Für viele ist dies ein Anlass, abzuschalten und von Märchen zu reden.

Gerade aber Erzählungen wie die vom Sturm auf dem See lassen noch etwas vom Erleben der Jünger ahnen, das von Jesus ausgelöst wurde: wie aufregend es war, mit ihm zusammen zu sein. Die Worte: „Was ist das für ein Mensch?“ vermitteln einen guten Eindruck davon, wie betroffen, wie fassungslos und aufgewühlt seine Begleiter nach manchem Ereignis waren.

 

Schon von Anfang an sahen die frühen Christen eine Erzählung wie diese als Bild ihrer eigenen Geschichte mit dem Leben, mit ihrem Glauben an Jesus. Wenn wir sie heute als solche betrachten, kommen wir selber mitten darin vor.

 

Unser Leben ist wie eine Überfahrt von einem Ufer zum andern - so zeigen es Träume auf, so überliefert es die Weisheit der Völker, so stellt es sich in Werken der Dichtkunst dar. Es gibt Zeiten, wo alles still ist wie ein Bergsee, das Leben nimmt seinen gewohnten Gang vom Morgen bis zum Abend, vom Abend bis zum Morgen. Nichts Aufregendes geschieht.

 

Dann aber gibt es Zeiten, wo alles plötzlich ganz anders ist, wo uns der Boden unter den Füßen weggezogen wird: alte Sicherheiten und Überzeugungen tragen nicht mehr. Was einmal als unverrückbar und heilig galt, verliert seinen Wert, unser Glück droht zu zerbrechen. Es ist, als ob wir unversehens in einen Sturm hineingeraten wären. So gewaltig, so unüberschaubar ist das, was uns überfällt, und so ohnmächtig erleben wir uns dabei.

 

Wenn wir in unser Leben hineinschauen, wird wohl jeder solche Situationen entdecken. Es kann sein, dass uns plötzlich ein Mensch, mit dem wir eng verbunden sind, durch den Tod entrissen wird, oder dass einen nahen Angehörigen eine schwere Krankheit trifft. Oft ist es einfach die Angst um ein krankes Kind, oder dass die Kinder verunglücken könnten.

 

Nicht zuletzt leiden so viele unter der Angst, dass sich der geliebte Mensch abwenden könnte, dass man verlassen wird, dass man niemandem etwas bedeutet und der ganze Aufwand an Arbeit und Mühen um das Fortkommen umsonst war. Es ist die Angst, nicht wirklich gelebt, sein Leben nicht erfüllt zu haben.

 

Die Angst kann sich in Panik steigern, so dass man keine ruhige Minute mehr hat, keinen klaren Gedanken fassen, keine Entscheidung treffen kann. Die Überzeugung macht sich breit: Es hat doch keinen Sinn - und das ganze Dasein erscheint wie vergiftet. Heute wird uns gesagt: Jesus Christus ist trotz allem da, auch wenn wir wie die Jünger damals meinen, er kümmere sich nicht um unser Schicksal.

 

Was in der Geschichte auffällt: trotz all dem Wind und Wellengang ist um Jesus herum Ruhe. Und diese Ruhe breitet sich aus, sobald er aufsteht und spricht. Von diesem Raum und diesem Punkt der Ruhe geht die Rettung aus.

 

So ist für uns in den Krisen und Einbrüchen, die wir durchmachen müssen, solch ein fester Punkt der Ruhe von entscheidender Bedeutung. Manche sagen, dass ihnen in ganz schweren Stunden ein Wort aus der Hl. Schrift wie ein Haltegriff war, an dem sie sich festklammerten. Indem sie einen Satz aus der HI. Schrift, der ihnen plötzlich einfiel, immer wiederholten, konnten sie einer um sich greifenden Panik Einhalt gebieten. Ein solches Wort kann z. B. sein: „Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen" aus dem Psalm 23. Jesus spricht den Sturm als ein persönliches Gegenüber an: „Schweig! Sei still!"

 

Das Wort Jesu an den Sturm lässt uns seine tiefe innere Verbundenheit mit der Schöpfung ahnen und die Kraft des Friedens spüren, die in ihm war.

Unsere Lebensaufgabe wird es sein, den Anschluss an diese Kraft des Friedens zu finden, indem wir Räume der Ruhe, der Stille und der Festigkeit aufsuchen, z. B. dass wir uns jeden Tag eine freie Zeit aussparen, die ganz uns gehört, wo alles abfallen kann, was uns bedrängt, wo wir uns Worte der Hl. Schrift aneignen - gewissermaßen als Vorrat für die Zeiten der Not und als Halt, sollte uns einmal der Boden entzogen werden. So gerüstet, verlieren wir nach und nach unsere Ängste vor der Tiefe und den Stürmen und wir können weitaus mehr wagen, als wir heute meinen.

 

Meditation nach der Kommunion - Größer als die Angst

 

Eine Szene am Meer, die ich nicht vergessen werde:

Die Mutter genießt die Brandung. Sie wirft sich in das aufschäumende Wasser und kreischt vor Vergnügen.

Er, eineinhalb Jahre alt, stochert seelenruhig mit seiner kleinen Schaufel am Strand im Sand herum. Da blickt er auf, sieht seine Mutter und läuft ihr tollpatschig entgegen. Die erste kleine Welle überspült seine Füßchen. Er bleibt unsicher stehen. Dann erblickt er das lachende Gesicht der Mutter, geht weiter ‑ und scheitert an einer etwas höheren Welle, die ihn umwirft.

Er steht auf, sieht wieder in das lachende Gesicht der Mutter und landet schließlich wohlbehalten in ihren kräftigen Armen.

 

Wir brauchen etwas oder jemanden, auf den oder das wir sehen und dem wir vertrauen können, wenn die Wellen des Lebens uns umwerfen.

Vieles können wir ertragen, wenn wir Größeres kennen als die Angst.

Es kann sein, dass die Frage danach die wichtigste aller Fragen ist.

Eine Antwort für uns Christen lautet: Wir dürfen ihm vertrauen, weil er bei uns ist! 

 

(Nach: U. Böschemeyer, Das Leben meint mich. Meditationen für den neuen Tag. SKV Edition, Lahr, 2. Auflage 1994, 16. Juli)