Predigt am 1. Advent, Lj. B – 2017

(Lesung: Jes 63, 16b-17.19b; 64, 3-7; Evangelium: Mk 13, 33-37)


Die Adventszeit will für uns eine Zeit der stillen Besinnung, der Vorbereitung auf Weihnachten und des Bedenkens der Geburt Jesu Christi sein...

 

ABER ... im gerade gehörten Evangelium ist von diesen Gedanken gar nichts zu hören. Bestimmend ist die Aufforderung zur Wachsamkeit, damit die Ankunft des „Hausherrn“ nicht verpasst wird.

Damit stellt sich mir die Frage, wer eigentlich der „Herr in meinem Haus“, der Herr meines Lebens, der Herr meiner Zeit ist?

Bin ich es, so wie es der moderne Mensch meint, dass er es ist?

 

Unsere Gesellschaft klagt über Stress, Unruhe und Fremdbestimmung. Die Industrie muss immer größere Gewinne in immer kürzerer Zeit abliefern. Im Büro nehmen die Termine zu. Überstunden werden vom Arbeitgeber selbstverständlich verlangt ... und oft gar nicht mehr bezahlt.

Wer einen Job bekommt, nimmt dafür lange Fahrzeiten in Kauf.

In unserer Arbeitsgesellschaft ist die Uhr ein ständiger Begleiter.

 

Diese Realität zeigt doch, dass wir gar nicht der „Herr in unserem Hause“, Herr unseres Lebens oder Herr unserer Zeit sind.

 

In dieser Situation fordert Jesus uns Christen auf, wachsam zu sein. Wir Christen glauben nämlich im Unterschied zu nichtgläubigen Menschen, dass GOTT der Herr unseres Hauses, unseres Lebens und unserer Zeit ist.

 

Jesus meint eine Wachsamkeit, die dem täglichen Termindruck nicht noch einen weiteren Druck hinzufügen will.

Seine Wachsamkeit kann sogar im Müßiggang, in Ruhe, Stille und Gebet liegen.

Wer ständig nach der Uhr lebt, sieht die Zeit vor lauter Uhren nicht mehr.

Sich Zeit zu nehmen ist ein Geschenk für den eigenen Körper, die eigene Seele und auch für andere.

Jesus fordert uns auf, die Augen für SEIN Erscheinen offen zu halten.

Dieses Erscheinen Jesu ist täglich und kann unser Leben zum Guten hin verändern.

 

Wer die tägliche Wachsamkeit Gott gegenüber einübt, dessen Sicht auf sein Leben und seine Lebenszeit wird anders werden.

 

Da wir uns hier im Krankenhaus befinden, habe ich nun eine schöne Geschichte für Sie, Schwestern und Brüder, die uns zeigen will, wie wertvoll die tägliche Beziehung zu Jesus sein kann – in guten und in schweren Tagen, in Gesundheit und Krankheit. Die Adventszeit will uns wieder neu dazu einladen, wachsam für das Eigentliche in unserem Leben zu sein.

 

Zwölf Uhr mittags

 

Dem Pfarrer einer Stadt im Süddeutschen fiel ein alter, bescheiden wirkender Mann auf, der jeden Mittag die Kirche betrat und sie kurz darauf wieder verließ. Eines Tages fragte er den Alten, was er denn in der Kirche tue. Der antwortete: „Ich gehe hinein, um zu beten.“ Als der Pfarrer verwundert meinte, er verweile nie lange genug in der Kirche, um wirklich beten zu können, sagte der Besucher: „Ich kann kein langes Gebet sprechen, aber ich komme jeden Tag um zwölf und sage: Jesus, hier ist Johannes.“

 

Eines Tages musste Johannes ins Krankenhaus. Ärzte und Schwestern stellten bald fest, dass er auf die anderen Patienten einen heilsamen Einfluss hatte. Die Nörgler nörgelten weniger, und die Traurigen konnten auch mal lachen. „Johannes“, sagten sie, „du bist immer so gelassen und heiter.“ „Ach“, winkte Johannes ab, „dafür kann ich nichts. Das kommt durch meinen Besucher.“ Doch niemand hatte bei ihm je Besuch gesehen. Er hatte keine Verwandten und auch keine engeren Freunde. „Dein Besucher“, fragte eine Schwester, „wann kommt der denn?“ „Jeden Mittag um zwölf. Er tritt ein, steht am Fußende meines Bettes und sagt: Johannes, hier ist Jesus.“

 

(in: Typisch! Kleine Geschichten für andere Zeiten, Hamburg 2009, 8. Auflage)