Dankbarkeit – Menschliche Erfahrungen

und psychologische Erkenntnisse


Stellen Sie sich einmal folgende Begebenheit vor: Sie haben Gäste eingeladen. Seit Tagen freuen Sie sich auf diesen Besuch, kaufen ein, reinigen die Wohnung, bereiten vor, kochen und hängen sich richtig rein, damit der geplante Abend ein unvergesslicher wird. Dieser Abend wird ein unvergesslicher, denn kaum sind die Gäste da, greift deren Unzufriedenheit wie eine Giftwolke um sich. Sie mäkeln, kritisieren, lästern und Sie denken sich, dass Sie sich in einem falschen Film befinden. Sehr bald ist die Stimmung im Keller und am liebsten würden Sie diese Leute rauswerfen. Leider machen Sie es nicht, Sie schlucken all die negativen Seitenhiebe runter und der Abend endet in einem Desaster. Noch Tage später sind Sie frustriert, empört, verletzt und schwören sich, nie mehr Menschen einzuladen, was grundsätzlich sehr schade wäre. Die geladenen Gäste waren die falschen, es gibt auch ganz andere.

Jeder Mensch hat Erfahrungen mit Undank und Dank. Spüren Sie einmal diesen oder ähnlichen Erlebnissen nach. Wie war es für Sie, als Sie sich für jemanden einsetzten und keinen Dank dafür bekamen? Ein dumpfes und bitteres Gefühl macht sich in Ihrer Seele breit. Dieses Gefühl kennt der Volksmund, wenn er sagt: „Undank ist der Welten Lohn.“

 

Ganz anders ist es, wenn uns jemand - vielleicht sogar unerwartet - seinen Dank durch Wort und Tat zeigt. Ein weites und heiteres Gefühl der Dankbarkeit breitet sich in uns aus, das uns Kraft, Freude und neue Energie schenkt.

 

Ich selbst lebe schon seit vielen Jahren aus Erfahrungen, die mir zeigen, dass mir das Wesentliche in meinem Leben geschenkt wird. Selbstverständlich darf und muss ich immer wieder das Meine dazu tun, dass mein Leben erfolgreich und schön ist. Aber über all meinem Tun stehen Geschenke des Lebens, Geschenke Gottes, die unverdient und umsonst sind. Eine solche Erfahrung ist für mich ein unerwartetes Telefongespräch, das ich an einem tristen Novembertag 1994 mit dem weltberühmten Psychiater Viktor Emil Frankl aus Wien führen durfte. Ganz unerwartet rief er mich, einen unbedeutenden Studenten, an. Wochen zuvor hatte ich ihm meine theologische Abschlussarbeit über die Logotherapie, eine sinnzentrierte Psychotherapie, die er erfunden und entwickelt hatte, zugeschickt. Er wollte, dass ich diese Arbeit als Buch veröffentlichen sollte. Dieses kurze Telefonat bewirkte, dass dieses Buch Monate später wirklich erschien und nun nach über 20 Jahren sogar ins Russische übersetzt wurde. Viktor E. Frankl ist schon lange tot, aber seine wertschätzende Stimme und sein Einsatz für mich wirkt bis heute in mir nach und macht mich sehr dankbar. Diese Dankbarkeit ist eine der Kraftsäulen in meinem Leben und Tun. Sie überdeckt bei weitem nicht wenige Erfahrungen der Undankbarkeit, die auch ich machen musste.

 

Neuere psychologische und neurologische Untersuchungen bestätigen dies, denn dankbare Menschen sind glücklicher, weniger depressiv oder gestresst und zufriedener mit ihrem Leben und ihren zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie verfügen über ein besseres Selbstwertgefühl, sind optimistischer, besitzen mehr Vitalität, erholen sich rascher von Krankheiten, sind bereit, sich eher helfen zu lassen als alles allein zu machen und sind liebevoller und nachsichtiger mit sich selbst und anderen. Sie finden Sinn in ihrem Leben, sind belastbarer, haben eine hohe Frustrationstoleranz und gehen mit Schwierigkeiten positiver um. Eine dankbare Grundhaltung hat sogar eine positive Wirkung auf unseren Schlaf: Dankbare Menschen werden weniger von Sorgen und Gedankengrübelei geplagt und können sich daher besser entspannen. Mittlerweile wurde durch vielfältige Studien belegt, dass Dankbarkeit eine starke Wechselwirkung zur psychischen und sogar physischen Gesundheit hat.

 

Der amerikanische Psychologieprofessor Robert Emmons beschäftigt sich seit langem mit dem Phänomen der Dankbarkeit. Sein lesenswertes Buch „Vom Glück, dankbar zu sein. Eine Anleitung für den Alltag“ stellt viele interessante Querverbindungen zwischen Dankbarkeit und Psyche, Körper und Seele heraus. So können z.B. Menschen mit narzisstischen Persönlichkeitszügen – und diese werden heutzutage immer mehr – nur schwer Wertschätzung gegenüber dem ausdrücken, was sie haben oder mit wem sie zusammen sind. Sie kreisen nur um sich selbst, neigen zu Neidgefühlen, vergleichen sich stark mit anderen und haschen nach Bewunderung und Anerkennung. Die Welt und andere Menschen sind ihnen etwas schuldig. Mit solchen Menschen zusammen zu leben oder zu arbeiten ist wahrlich keine Freude.

 

Wie viel schöner und wertvoller ist es also, dankbaren Menschen zu begegnen. Glücklicherweise lässt sich Dankbarkeit ganz konkret erlernen. Davon möchte ich im nächsten Beitrag berichten.

 

Artikel und Foto: P. Christoph Kreitmeir

Katholisches Sonntagsblatt für die Diözese Rottenburg/Stuttgart Nr. 40/2016, S. 34/35